Zukunftstechnologie des 16. Jahrhunderts. Geomantie als herrschaftliche Entscheidungstechnik gegen die Ungewissheit
Anliegen des Projektes ist es, die Bedeutung der Geomantie als divinatorische Entscheidungstechnik in der Herrschafts- und Verwaltungspraxis des sächsischen Kurfürsten August (1526-1586) zu untersuchen. Bei der im Projekt näher untersuchten Geomantie des 16. Jahrhunderts handelt es sich um eine auf arabische Vorbilder zurückgehende Punktierkunst, bei der der Ratsuchende rasch und ungezielt 16 Punkt- oder Zahlenreihen entwarf, daraus bestimmte Figuren bildete und diese mit Hilfe eines aus 16 oder auch 256 Feldern bestehenden Quadrats (geomantischer Spiegel) deutete. Herauszustellen ist, dass mit der Geomantie, deren Anwendung im Unterschied zur Astrologie gerade keine besondere Expertise nötig machte, eine bislang noch nicht systematisch betrachtete Technik der alltäglichen Zukunftsprognose als Selbsthilfestrategie im Mittelpunkt steht. Gerade weil die Geomantie als unkompliziertes und schnell zu handhabendes Hilfsmittel bei letztinstanzlichen Entscheidungen genutzt werden konnte, kann ein bemerkenswert weites Einsatzspektrum und eine Routinisierung der Fragestrategien ausgemacht werden. Beides gilt es im Projekt genauer zu fassen. Dafür werden im Rahmen des Projektes die Dresdner Geomantiebestände - in denen in einer außergewöhnlichen Dichte persönlichen Fragestücke des Kurfürsten zu alltäglichen Entscheidungen versammelt sind - erhoben und mit Blick auf das Themenspektrum, die Fragetypen und Befragungspraxen systematisch ausgewertet. Mit der Untersuchung der konkreten geomantischen Fragestücke lässt sich ausgehend von der Person des Kurfürsten - der in den verschiedenen Verwaltungsverfahren die Endentscheidungen zu treffen hatte - das Spektrum und die Reichweite der Geomantie als prognostischer Technologie zur Bewältigung einer unsicheren da unbekannten Zukunft erschließen. Näher betrachtet werden soll auch, in welcher Weise sich im konkreten Fall divinatorische Praktiken und Verwaltungshandeln ergänzten und womöglich auch bedingten. Hiervon ausgehend verspricht die Betrachtung der Geomantie schließlich sowohl einen neuen Blick auf die Bedeutung divinatorischer Verfahren in der Vormoderne, als auch auf Verwaltungs- und Herrschaftspraxen. Hier ließen sich die im Projekt und innerhalb des Kollegs diskutierten Ansätze zu Formen des mantisch unterstützten Entscheidens gewinnbringend mit neueren Forschungen zu Entscheidungspraxen (vor)moderner Herrschaft konfrontieren und auf einem Workshop auch gemeinsam diskutieren.
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