„Prognosen sind schwer – vor allem für die Zukunft“ Geisteswissenschaftliches Forschungskolleg in Erlangen untersucht die kulturelle Bedeutung von Vorhersagen
originally published by hlo, Nürnberger Nachrichten on July 24th, 2009
Nürnberger Nachrichten writes:
Mit insgesamt zehn Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein internationales Forschungskolleg in Erlangen mit dem Titel 'Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa'.
'Prognosen sind schwierig — vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen', hat – je nach Quelle – Karl Valntin, Mark Twain oder Winston Churchill gesagt. Egal, wer es war, er konnte mit Sicherheit nicht voraussehen, dass es 2009 genau zu diesem Thema ein Forschungskolleg in Erlangen geben würde.
Voraussehen konnten auch die Macher des neuen Kollegs – die Sinologen Prof. Michael Lackner und Prof. Thomas Fröhlich sowie der Mittelalter-Historiker Prof. Klaus Herbers – nicht, wie sie mit ihrem Konzept bei einem bundesweiten Wettbewerb zur Stärkung der Geisteswissenschaften abschneiden würden. Auf Fördermittel vom Bund gehofft haben sie zweifellos. Und umso mehr freuten sie sich über die Gewissheit, für einen Zeitraum von sechs Jahren insgesamt zehn Millionen Euro zu bekommen.
Vorhersehung, Zweifel, Gewissheit – das sind Aspekte des Kollegs 'Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa' Vereinfacht gesagt, geht es um die Fragen: Wie kommen Menschen mit der Tatsache zurecht, dass in der Regel doch alles anders kommt, als man sich das so gedacht hat? Und gibt es dabei spezielle Unterschiede zwischen den Menschen in Europa und in China?
Die Klischees dazu sind klar: Wir in Europa glauben, dass die Chinesen weitaus gelassener auf die Unbilden des Lebens reagieren – weil sie an ein unabänderliches Schicksal glauben. Umgekehrt gilt bei uns jeder als seines eigenen Glückes Schmied – der im Falle des Versagens die Schuld dafür bei den anderen sucht.
Andererseits scheint im christlichen Abendland alles auf ein vorherbestimmtes Ziel zuzulaufen – sei es die Erlösung oder die Apokalypse. 'Wir Europäer denken linear', sagt Lackner, 'etwas fängt an Punkt A an und hört an Punkt B auf'. Die chinesische Kultur dagegen sei offen für die verschiedensten 'Wandlungen': 'Der Ausgangspunkt liegt in der Mitte eines Kreises. Und der Kreis verdeutlich die Möglichkeite der Richtungen, in die sich etwas entwickeln kann'.
Gerade weil sie unsicher ist, wollen wir Menschen die Zukunft kennen. Horoskope zählen zu den am meisten gelesenen Beiträgen in einschlägigen Zeitschriften. Doch bei weitem nicht nur den 'einfache Mann' glaubt an Prognosen.
'Die Wirtschaftsweisen von heute haben die Hof-Astrologen des Mittelalters abgelöst', sagt Herbers. Politikberatung hat Hochkonjuktur und gerade zur Zeit reist ein – von der Bundesregierung finanzierter – Sonderzug durchs Land, in dem die Wissenschaft im Jahr 2020 zu bestaunen ist.
'Der Blick nach vorn ist eine anthropologische Konstante, die sich, wenn auch verschiedenartig artikuliert, in allen Kulturen findet', sagt Herbers. Und die unterschiedlichsten Faccetten dieses Phänomens soll in dem Kolleg betrachtet werden.
Bis zu zehn Wissenschaftler aus aller Welt – 'Fellows' genannt – werden dazu pro Jahr nach Erlangen kommen, in ein einem eigens dafür eingerichteten Haus in der Ulrich-Schalk-Straße wohnen und ihren Forschungen nachgehen – nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern vor allem im Austausch untereinander und mit Erlanger Wissenschaftlern.
'Es ist auch für unsere Studenten ein ungeheurer Gewinn, wenn sie mit hochkarätigen Leuten aus dem Ausland diskutieren können', sagt Herbers. Und nicht zuletzt soll es Kolloquiuen geben, in denen die Erkenntnisse des Kollegs einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Kann der Steuerzahler am Ende für seine zehn Millionen Euro eine bessere Politikberatung oder gar zutreffendere Wirtschaftsprognosen erwarten? 'Nicht unbedingt', meint Herbers, 'das hängt davon ab, ob die Ergebnisse, die wir auf den Tisch legen, auch wahrgenommen und umgesetzt werden'.
'Als wir im Mai 2008 den Antrag für dieses Kolleg erarbeitet haben, war die Wirtschaftskrise unvorstellbar', sagt Lackner. 'Dass wir damals diesen Antrag trotzdem gestellt haben, beweist angesichts der eingetretenen Ereignisse die intuitive Kraft der Geisteswissenschaften'.